Bildungspolitik

Bildrechte: © Daniel Biskup

Bildungspolitik

Lasst uns jetzt beherzt Partei ergreifen für die benachteiligten Kinder aus armen und bildungsfernen Familien, damit wir ihr großes Potential nicht verlieren.

Sozialdemokratische Bildungspolitik verfolgt richtige Ziele, aber wir müssen erheblich schneller und wirksamer vorankommen, wenn wir für jedes Kind die Bildungsqualität heben, die Ausstattung unserer Schulen verbessern und dem Mangel an Lehrer*innen und Erzieher*innen abhelfen wollen. Eltern schauen nicht nur auf die vielen kleinen Fortschritte oder die hohen Finanzmittel, die die Politik für Verbesserungen bereitstellt. Sie schauen völlig zu Recht auf ihre Kinder und wollen, dass die Probleme noch in deren Schulzeit gelöst werden.

Die SPD sagt zurecht: Kein Kind darf zurückgelassen werden. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass wir von diesem Ziel noch weit entfernt sind, besonders bei Kindern aus armen und bildungsfernen Familien. Meine Eltern haben nie eine Schule besucht. Im libanesischen Flüchtlingslager mussten sie täglich dafür kämpfen, meine elf Geschwister ernähren zu können. Hier in Deutschland waren wir 15 Jahre staatenlos. Deshalb durften meine Geschwister keine Ausbildung machen oder gar  studieren. Wir sollten ja schließlich abgeschoben werden. Ich selbst habe erst in der ersten Klasse Deutsch gelernt. Das war spät und hätte auch schief gehen können. Obwohl meine Eltern mir zwar nicht bei Hausaufgaben helfen konnten und nie zu Elternabenden gingen, schufen sie zuhause ein Klima, das mir half, an mich zu glauben und meinen Weg zu gehen. Und ich hatte fantastische Lehrer*innen, die mich an die Hand nahmen. Ich habe schließlich als erste von dreizehn Geschwistern Abitur gemacht und studiert. Meine jüngste Schwester hat sogar mehrere Abschlüsse und alle meine Nichten und Neffen studieren oder haben eine Ausbildung.

Es ist bekannt, dass die elterliche Schulunterstützung durch Sprache und Bildung, aber auch durch Zeit und Geld den Schulerfolg des Kindes wesentlich bestimmt. Aber genau diese Unterstützung fehlt vielen Kindern aus benachteiligten Familien. Viele unserer damaligen Nachbarskinder palästinensischer Flüchtlingsfamilien haben es beispielsweise nicht geschafft, weil entweder ihre Eltern überfordert waren und Schule und Staat nicht geliefert haben. Das Risiko, den Schulabschluss zu verfehlen, ist bei Kindern aus sozialschwachen Familien deutlich größer. Lehrer können nicht die Eltern ersetzen. Aber da, wo Eltern ausfallen, muss der Staat eingreifen. An Berliner Schulen gibt es zusätzliche Mediatoren und Mentoren und auch Nachhilfeunterricht, um Kindern mit Lernschwierigkeiten zu helfen. Um herkunftsbedingte Nachteile auszugleichen, müssen wir neue, robuste Strukturen zur Förderung von Kindern aus bildungsfernen oder armen Familien schaffen.

Paten- und Mentor-Projekte der Zivilgesellschaft, an denen ich selbst aktiv teilnehme, sind ein guter Anfang. Ich bin Schirmherrin des Projekts „Senior Partners in School“. Das sind Senioren, die Kinder, die Schwierigkeiten in der Schule haben, an die Hand nehmen und begleiten. Diese und viele weitere Initiativen brauchen eine bessere Förderstruktur. Und dennoch sage ich: Es bedarf eines organisatorischen Quantensprungs, um fehlende elterliche Unterstützung zu ersetzen. Sonst geht uns das Potential dieser Kinder für immer verloren.

Was mich außerdem bedrückt, ist die zunehmende Tendenz zur Segregation in Schulen. Besonders in Quartieren mit hohem Migrationsanteil gibt es Schulen, in denen praktisch keine deutsch-muttersprachlichen Kinder eingeschult werden (Brennpunktschulen). Die Kinder sprechen hier oft weder die Sprache ihrer Eltern gut, noch können sie in der deutschen Sprache bestehen.

Bei der Segregation gibt es viele Ursachen und langfristige Entwicklungen. Ich bin für eine soziale Durchmischung aller Stadtteile und für eine entsprechende Wohnungspolitik. Aber der erste Ansprechpartner zur Reform der sogenannten Brennpunktschulen sind Eltern: Derzeit schicken deutschsprachige Eltern und auch aufstrebende türkischsprachige oder Migranteneltern ihre Kinder nicht (mehr) in Brennpunktschulen, weil sie das niedrigere Niveau dieser Schulen (und gelegentlich auch die Gewalt) fürchten. Dies kann ich sehr gut nachvollziehen.

Dennoch muss dieser Teufelskreis durchbrochen werden. Diese Schulen brauchen eine ganz spezielle Förderung, und hier ist auch der Bund verpflichtet, die massive Ungleichheit der Lebens- und Lernverhältnisse abzubauen. Meine Vision ist es, die sogenannten Brennpunktschulen so attraktiv zu machen, dass mehr Eltern die besonderen Chancen einer multikulturellen Schule erkennen, die auf hohem Bildungsniveau den klassischen Lernstoff vermittelt und auch noch den Erfahrungshorizont ihrer Kinder erweitert.

Für mich ist zudem wichtig, dass die Unterrichtspläne in Zeiten von Migration und Globalisierung ein zeitgemäßes Update bekommen. Interkulturelle Kompetenz und Demokratieerziehung müssen zu Kernfächern an allen Schulen werden, um Kinder früh gegen Rassismus und Demokratiefeindlichkeit zu immunisieren. Ich habe Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten vorgeschlagen, im Senat auch für mehr Geld für solche Besuche gekämpft, und war selbst mit Schulklassen dort. Es war bewegend zu sehen, wie viel das in den Köpfen und Herzen junger Menschen bewirkt.

Natürlich kosten all diese Vorhaben Geld, aber hören wir auf, von fehlendem Geld für Bildung zu sprechen. Gute Bildung muss kosten, was sie kostet. Das muss und kann sich unser reiches Land leisten. Ich bin sicher: Als im besten Sinne radikale Bildungspartei bekämen wir große Unterstützung. Von der ganzen Zivilgesellschaft, erklärtermaßen auch von vielen wohlhabenden Bürger*innen, die viel Geld mobilisieren würden, wenn dieses denn garantiert in Bildung flösse. Viele Gutverdienende würden auf Kindergeld und Lehrmittelfreiheit gern verzichten zugunsten besserer Bildung. Vielen Eltern und Großeltern, die sich um die Lebenschancen ihrer Kinder sorgen, würden einer starken Forcierung der Bildungsanstrengungen von Herzen zustimmen.

Die SPD ist die Partei der Arbeiterbildung. Wir haben die Gesamtschulen eingeführt und die Durchlässigkeit von der Hauptschule bis zu Gymnasien und Hochschulen geschaffen. Lasst uns jetzt beherzt Partei ergreifen für die benachteiligten Kinder aus armen und bildungsfernen Familien, damit wir ihr großes Potential nicht verlieren. Gebt mir das Mandat, diese Forderungen auf Bundesebene zu vertreten.